Heinrich Terberger: Die Hilfarther Wannmacher

Die Ver­wen­dung der Wei­de im all­ge­meinen ist seit Jahrtausenden allen Völk­ern, bei denen sie heimisch ist, je nach ihrem Kul­tur­stande mehr oder weniger bekannt.

Die ältesten schriftlichen Nachricht­en von der Korb­wei­de und ihrer Ver­wen­dung liefert uns aus dem ersten Jahrhun­dert nach Chris­tus der römis­che Naturgelehrte Plin­ius, der uns bere­its acht ver­schiedene Arten aufzählt. Nach ihm wurde die Korb­wei­de bei den alten Römern zu den ver­schiedenar­tig­sten Geräten des Haushalts, der Land­wirtschaft und des Kriegswe­sens ver­wandt. Ohne Zweifel kam der Wei­de im römis­chen Wirtschaft­sleben eine ganz her­vor­ra­gende Bedeu­tung zu.

Unseren Vor­fahren, den Kel­ten und Ger­ma­nen war die Ver­wen­dung der Korb­wei­de nicht weniger bekan­nt. Die Ubier befuhren bere­its vor Ankun­ft der Römer der Rhein mit Fahrzeu­gen, die aus Wei­den geflocht­en und mit Tier­fellen über­zo­gen waren.

Nach Plin­ius bestand jedoch bei den alten Römern der haupt­säch­liche Gebrauch der Korb­wei­de in der Her­stel­lung der für die Land­wirtschaft so wichti­gen Wanne, lat. van­nus = Getrei­deschwinge. Dieses Gerät mit zwei Grif­f­en, das hin­ten rund gewölbt ist, dessen Wöl­bung nach vorne sich nach und nach ver­min­dert, hat die Gestalt ein­er Muschel. Das ist die berühmte Hohlmuschel der Ägypter, Athen­er und Römer, auf welche die Alten die Kinder gle­ich nach der Geburt brachten.

Und wie die Römer unseren Lan­den mit ein­er neuen fort­geschrit­te­nen Kul­tur den Wein­bau, die Webkun­st und manch­es Handw­erk bracht­en, so mag wohl auch die Kun­st des Wan­n­machens von ihnen auf unsere Vor­fahren überkom­men sein. In Hil­far­th, an der heilen Fahrt durch die Rur, am Kreuzungspunkt alter Heer­straßen, wo in früheren Jahrhun­derten römis­che Krieger, Kau­fleute und Handw­erk­er auf ihrem Zuge nach Bel­gien oder ins Innere Ger­maniens län­geren oder kürz­eren Aufen­thalt nah­men, von denen gefun­dene Urnen und Münzen aus der Zeit des Kaisers Hadri­an (117 – 138 nach Christi Geburt) Zeug­nis able­gen, blüht seit Jahrhun­derten das alte Gewerbe der Wan­n­mach­er.  

Wohl kein Handw­erk ist in unser­er näheren und weit­eren Heimat seit Jahrhun­derten im wech­selvollen Lauf der Geschichte so boden­ständig und seinem Orte und sich selb­st so treu geblieben wie die Wan­n­macherei in Hil­far­th. Die schw­er­sten Zeit­en, die schlimm­sten Kriegs­drangsale, von denen alte Hausin­schriften unseres Ortes uns bericht­en wie: „Ein­mal bin ich durch Krieg abge­bran­nt, nun ste­he ich in Gottes Hand“ oder „Ich ste­he in Gotttes Hand, Er behüt‘ mich für Feuer und Brand“ haben dem zähen, seine Scholle und sein Handw­erk lieben­den Stamme der Wan­n­mach­er nichts anhab­en kön­nen. Mit dem Neubau der Häuser ist das Handw­erk immer wieder neu ent­standen. Fast die Hälfte sämtlich­er männlich­er Ein­wohn­er von Hil­far­th sind in den alten kirch­lichen Heirats- und Ster­bereg­is­tern der früheren Pfarre Brache­len mit „van­no­rum artifex“ = Wan­nenkün­stler, Wan­n­mach­er einge­tra­gen. Jed­er zweite Fam­i­lien­vor­stand betrieb mit seinen Söh­nen die Wan­n­macherei. Genaue Ein­wohn­erzahlen aus früheren Jahrhun­derten, an Hand deren die Zahl der Wan­n­mach­er einiger­maßen fest­gestellt wer­den kön­nte, sind nur vom Jahr 1760 bekan­nt. Damals hat­te Hil­far­th 550 Ein­wohn­er. Die Zahl der Wan­n­mach­er dürfte dem­nach schätzungsweise zum aller­min­desten 70 betra­gen haben. Bei 200 Arbeit­sta­gen und ein­er Einzelleis­tung von 2 Wan­nen pro Tag dürfte die Jahre­spro­duk­tion die Zahl von rund  30.000 Wan­nen erre­icht haben. Wenn auch diese Zahl in Zeit­en schw­er­er Kriegs­drangsale nicht immer einge­hal­ten sein mag, so gibt sie uns doch ein unge­fähres Bild von der dama­li­gen Bedeu­tung des Handwerks.

Begün­stigt durch die Lage an der Flüssen, der Rur, des Merzbach­es und der Wurm, deren Ufer die wildwach­senden Wei­den hergeben, sowie durch den bis zur Mitte des vorigen Jahrhun­derts bestande­nen Kapp­busch, der das Holz für die Schienen lieferte, blieb das Wan­n­mach­er-Handw­erk lebens­fähig. Bald jedoch wird aus unserem Orts­bilde die Gestalt des alten Wan­n­mach­ers ver­schwun­den sein. Mod­erne Getrei­de-Reini­gungs­maschi­nen haben sein Erzeug­nis fast ganz ver­drängt und unsere heutige Zeit, die der Erler­nung eines Handw­erks nicht mehr so fre­undlich gesin­nt ist, bringt es so viel rasch­er zum Absterben.

Das Handw­erk ist, wie du lieber Heimatleser es auf dem Bilde des Hil­far­ther „van­no­rum artifex“, des alten Chris­t­ian aus dem Stamme der Wan­n­mach­er Königs erblickst, ein recht beschw­er­lich­es. In gebück­ter sitzen­der Stel­lung flechtet er die Wei­den um die Holzschienen, und mit dem Eisen klopft er die geflocht­e­nen Wei­den dicht zusam­men, damit seine Wann auch recht stark und sta­bil wird. Nach Vol­len­dung des Rumpfes bringt er noch zwei Holz­griffe an, und die Wanne ist gebrauchs­fer­tig. Aber nicht nur die Anfer­ti­gung, son­dern auch die Vorar­beit­en, das Schnei­den und Schälen der Korb­wei­den, das Fällen der Bäume, das Reißen der Holzschienen, die gekocht wer­den, ehe sie ver­ar­beit­et wer­den kön­nen, erfordern ein großes Maß Arbeit und Ausdauer.

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhun­derts ent­nah­men die Wan­n­mach­er, wie bere­its erwäh­nt, ihr Mate­r­i­al auss­chließlich den an den Ufern der Flüsse wildwach­senden Wei­den. Das Schienen­holz lieferte gle­ich­falls die alt­ger­man­is­che All­mende, der allen Ein­wohn­ern gemein­sam gehörende, im Jahre 1855 gerodete frühere Kapp­busch. Korb­wei­denkul­turen gab es nur vere­inzelt in ganz kleinen Parzellen seit Anfang des 19. Jahrhun­derts. Erst mit der Rodung der großen Wal­dun­gen um die Mitte des vorigen Jahrhun­derts began­nen sowohl die Gemein­den als auch Pri­vate mit Wei­denkul­turen, und in dieser Zeit ent­stand in Hil­far­th neben der Wan­n­macherei die Korb­macherei, die soge­nan­nte Weißar­beit, die Anfer­ti­gung von Kör­ben aus weißen geschäl­ten Korb­wei­den, die sich dann langsam auf die weit­ere Umge­bung aus­dehnte. Hil­far­th ist somit die Wiege der Korb­waren-Indus­trie unser­er Heimat und der Hil­far­ther Wan­n­mach­er der Vorgänger des Korbmachers.

Nach ein­er sehr genauen Sta­tis­tik des früheren Lan­drats Janssen vom Jahre 1875 wur­den von den im ganzen Kreise geern­teten 64.130 Gebund Wei­den von 1,1 m Umfang in Hil­far­th allein 23.300 Gebund zu Waren, vornehm­lich zu weißen Korb­waren ver­ar­beit­et. Aus dieser Sta­tis­tik erhellt die Bedeu­tung der Hil­far­ther Wann- und Korb­mach­er für die Korb­waren-Indus­trie unseres Kreises.

Den Absatz der Wan­nen besorgten in früheren Zeit­en die Wan­n­mach­er selb­st, indem sie mit Schubkar­ren ihre Ware den näher gele­ge­nen Märk­ten zuführten. Zum größten Teile jedoch ver­mit­tel­ten ein­heimis­che Händler den Verkauf. Diese kauften die Wan­nen zu Tausenden auf und bracht­en sie mit der Fuhre auf die weit­ergele­ge­nen Märk­te. Ein Haupt­wan­nen­markt war Pützchen bei Bonn. Nach Cöln jedoch wur­den die meis­ten Wan­nen abge­set­zt, die dann von den Händlern stro­mauf und stromab ver­schickt wurden.

Schwere Zeit­en haben die Wan­n­mach­er im Lauf der Jahrhun­derte gehabt, karg war der Ver­di­enst und schw­er die Arbeit, aber nichts­destoweniger sind sie ihrem alten Handw­erk Gen­er­a­tio­nen hin­durch treu geblieben. Die paar Wan­n­mach­er, die heute noch ihr Handw­erk ausüben, find­en erfreulicher­weise ihren auskömm­lichen Lohn, und da auch heute noch trotz der Wan­n­mühlen und Maschi­nen in keinem geord­neten land­wirtschaftlichen Betriebe ein Wanne, sei es zur Reini­gung von  Getrei­de oder anderen Sämereien, fehlen darf, so würde das Handw­erk gold­e­nen Boden für diejeni­gen haben, die wil­lens sind, das­selbe zu erler­nen. Aber lei­der ist die fab­rik­mäßige Ein­stel­lung unseres heuti­gen Wirtschaft­slebens, das von früh­ester Jugend an Ver­di­enst und Erwerb ver­langt, der Erler­nung des Handw­erks nicht mehr hold. Und ehe es anders wird, sind die Meis­ter nicht mehr. Der alte Wan­n­mach­er, der „van­no­rum artifex“ wird dann auch der Ver­gan­gen­heit ange­hören, und von seinem Leben und Streben ver­mag uns dann außer alten Zeu­gen nur noch der Heimatkalen­der zu erzählen.


[ Heimatkalen­der der Heins­berg­er Lande 1926, S. 79 – 81 ]  Abgeschrieben von Hel­mut Henßen