Friedhelm Hensen: Zur älteren Wirtschaftsgeschichte von Hilfarth

Zur Geschichte der Dör­fer des Land­kreis­es Erke­lenz gibt es ver­hält­nis­mäßig wenig ältere Schriftquellen. Das mag haupt­säch­lich an den Kriegsz­er­störun­gen liegen, aber vielfach ist auch das geringe geschichtliche Inter­esse der Bevölkerung daran schuld.

Um so erfreulich­er ist es daher, daß der jet­zt 82jährige Kauf­mann Chris­t­ian Fell1 in Hil­far­th, der ein­er alten Hil­far­ther Fam­i­lie entstammt, eine Hand­schrift über die Wirren der let­zten Zeit ret­tete, die über die wirtschaftlichen Ver­hält­nisse der Hil­far­ther Bevölkerung, von der Mitte des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhun­derts eini­gen Auf­schluß gibt.

Die Schrift wurde in Buch­form angelegt, um die Ver­mö­gensver­hält­nisse der Ein­wohn­er von Hil­far­th zu erfassen und diese bei der Besteuerung her­anzuziehen; es han­delt sich also um ein soge­nan­ntes Lager­buch. Dieses enthält u.a. Namen und Zahl der Hil­far­ther Fam­i­lien, ihre Beruf­szuge­hörigkeit, die vom Dorf zu leis­ten­den Gehäl­ter und Abgaben. Da für jede Per­son eine ganze Seite des Buch­es vorge­se­hen war, kam es, daß ein Vor­fahre des heuti­gen Besitzers, der als Kirchen­ren­dant in Hil­far­th tätig war, von 1832 bis 1839 die weniger beschriebe­nen Seit­en zu Tage­buchaufze­ich­nun­gen benutzte. Er schrieb u.a. nicht nur genau auf, was der „Klinger-Beu­tel“ ein­brachte und wann eine Fen­ster­scheibe der Kirche von Laus­buben­hand zertrüm­mert wurde, son­dern er führte auch über Vorkomm­nisse auf seinem eige­nen Bauern­hof sorgfältig Buch. Außer­dem enthält das Lager­buch Rech­nun­gen, Löhne und Einzel­heit­en über die Lebens­ge­wohn­heit­en der dama­li­gen Zeit.

Hil­far­th gehörte, wie ein großer Teil des heuti­gen Kreis­es Erke­lenz, seit dem Mit­te­lal­ter bis zur napoleonis­chen Zeit zum Her­zog­tum Jülich und kam 1815 an das Kön­i­gre­ich Preußen. Beson­ders im 17./18. Jahrhun­dert  wurde es wieder­holt von Kriegen und anderen Drangsalen heimge­sucht. Oft bildete dabei die Rur ein natür­lich­es Hin­der­nis, das Fron­ten und Trup­pen oft aufhielt.

In Hil­far­th lebten im Jahre 1776 ins­ge­samt 83 Fam­i­lien, die zusam­men rund 198 Mor­gen Ack­er- und Wei­de­land bewirtschafteten. Alles übrige Land bestand aus Sumpf und dem Kapp­busch, einem alten Gemein­schaftswald, der sich früher von Brache­len bis zur „Schanz“ bei Ratheim erstreck­te und erst im 19. Jahrhun­dert auf die wald­berechtigten Dör­fer Brache­len, Hil­far­th und Lin­dern aufgeteilt wurde. Das meiste nutzbare Hil­far­ther Land lag jen­seits der Rur zwis­chen Dover­ack und Hück­el­hoven; es war lange nur durch eine Furt am soge­nan­nten „Kies­plei“ zu erreichen.

Diese 83 Fam­i­lien gliederten sich in fol­gende Berufe: zwei Schnei­der, zwei Schmiede (sie wer­den erst­mals 1832 genan­nt), zwei Zim­mer­leute, ein Faßbinder, ein Dorf­schreiber, ein Kuh­hirt und ein Schweine­treiber, der später dazu kam; alle übri­gen Ein­wohn­er waren Ack­er­sleute, Köh­ler und Tagelöh­n­er. Auf jeden Bauer kamen im Mit­tel 6 Mor­gen Eigen­land. Die Korb­mach­er dage­gen wer­den nicht erwäh­nt. Wahrschein­lich hat unser Chro­nist die „van­no­rum arti­fices“ (Korb­mach­er) der Kirchen­reg­is­ter zu den Tagelöh­n­ern gezählt. Das bestätigt auch eine Rech­nungsno­tiz, die besagt, daß ein Tagelöh­n­er für emp­fan­gene und nicht bezahlte Lebens­mit­tel dem Bauern einen „Wann“ machen soll. Die alten Korb­mach­er in Hil­far­th wis­sen noch zu bericht­en, daß das Korb­macher­handw­erk und der gewerb­smäßige Han­del mit Korb­waren erst seit dem 19. Jahrhun­dert betrieben wur­den. Blütezeit waren die Jahre um die Jahrhun­der­twende. Die Hil­far­ther Fir­ma Theißen allein beschäftigte damals 400 Korbmacher.

Die Men­schen müssen vor zwei­hun­dert Jahren recht ein­fach gelebt haben, wenn man bedenkt, daß ein Goldgulden der Kaufkraft von etwa 10 Mark entsprach. Der Dor­fvorste­her bezog ein Jahres­ge­halt von 8, der Dorf­schreiber von 3, der Dorf­bote eben­falls von 3 und der Kuh­hirt von einem Goldgulden. Die Abgaben von den Kap­i­tal­ien betru­gen 4 Prozent, und zur Instand­hal­tung des Brache­len­er Kirch­turmes mußte Hil­far­th jährlich 40 Albus (etwa 4,80 DM) beisteuern.

Viel bess­er war es um 1830 auch noch nicht. Allerd­ings rech­nete man inzwis­chen mit Talern und Groschen. Ein Zim­mer­mann ver­di­ente bei einem Tages­lohn von 6 Groschen monatlich 5 Taler. Der Schmiede­meis­ter erhielt am Tag 2 Groschen mehr, so daß er auf 6,5 bis 7 Taler kam. Ein Schus­ter kon­nte, wenn er gut zu tun hat­te, auf 6 Taler im Monat kom­men, was aber sel­ten der Fall war. Ein Bauer erhielt 3 Taler, wenn er für einen anderen einen Mor­gen Land beack­erte und ein­säte. Ein Fuhrmann bekam für den Trans­port ein­er Karre Holz von Lucht­en­berg bei Ors­beck nach Hil­far­th, also ein­er Strecke von rund 8 km, einen Fuhrlohn von einem Taler und 5 Groschen. Ein Tagelöh­n­er erhielt für das Anfer­ti­gen eines „Wann“ 5 Groschen. Der Monat­slohn für einen Knecht betrug 3 Taler und 10 Groschen. Dage­gen kostete ein mit­tel­großes Bauern­haus mit Ein­rich­tung 2000 Taler. Für einen Mor­gen gutes Ack­er­land wur­den 300 bis 400 Taler bezahlt, und die Jahres­pacht für einen Bauern­hof betrug 80 Taler.

Um sich eine unge­fähre Vorstel­lung von den Leben­shal­tungskosten um 1830 machen zu kön­nen, seien einige Preise angegeben:

1 Mal­ter2 Roggen1 Tal., 6 Groschen
1 Mal­ter Weizen 1 Tal., 2 Groschen
1 Mal­ter Kartoffeln 13 Groschen
1 Mal­ter Äpfel2 Tal.
1 Maß3 Öl9 Groschen, 4 Pf.
1 Maß Wein7 Groschen, 8 Pf.
1 „Pöttchen“ Bier1 Groschen
1 Paket Tabak1 Groschen, 8 Pf.

Von Klei­dungsstück­en sind wenige Preise bekan­nt. Her­ren­schuhe kosteten 1,5 Taler, Damen­schuhe meis­tens einen Taler. Ein Paar Hauss­chuhe wur­den mit 20 Groschen in Rech­nung geset­zt. Für ein Hemd wur­den einem Knecht 29 Groschen abge­hal­ten und für ein Paar Strümpfe 18 Groschen.

Als Heiz­ma­te­r­i­al wurde haupt­säch­lich Holz ver­wandt, das man im Kapp­busch für den eige­nen Bedarf schla­gen („kap­pen“) durfte. Wollte man für beson­dere Zwecke, z. B. zur Heizung der Küche oder der Gast­wirtschaft, Kohlen ver­wen­den, so mußten diese mit dem Pfer­de­fuhrw­erk von Eschweil­er gegen einen Fuhrlohn von 3 Talern und 2 Groschen geholt wer­den. Ein Besen, wahrschein­lich ein Hei­debe­sen, kostete 8 Pfen­nig, eine Fen­ster­scheibe einen Groschen.

Der „Klinger-Beu­tel“ enthielt wöchentlich, je nach den Einkom­mens- und Ver­di­en­st­möglichkeit­en während des Jahres, zwis­chen 26 und 5 Groschen. Die Anzahl der katholis­chen Fam­i­lien belief sich auf etwa fün­fzig. Siebzehn Gemein­demit­glieder hat­ten in der Kirche Stüh­le für ins­ge­samt 9,5 Taler gepachtet. Zum Gottes­di­enst ver­sam­melte man sich lange in der alten Klosterkapelle; diese wurde um 1850 vergrößert.

Der Schu­lun­ter­richt fand um 1830 in einem Wohn­hausz­im­mer an der Marien­straße statt. Die Unter­richt­szeit fiel haupt­säch­lich in die Win­ter­monate. In der übri­gen Zeit halfen die Kinder bei der Arbeit. Später wurde dann die Schule in einen größeren Raum in der Nähe des Klosters ver­legt, bis schließlich auf dem Klostergelände eine ein­stöck­ige Schule erbaut wurde, die aber schon 1892 aufge­stockt wer­den mußte. Heute erstreck­en sich geräu­mige Schul­ge­bäude am Nord­wes­trand von Hil­far­th, das mit der Zeit auf das Zehn­fache sein­er alten Ein­wohn­erzahl angewach­sen ist.

Ähn­lich wie schon früher das Köh­ler­handw­erk völ­lig ausstarb, gehört heute auch das Holzschuh­macher­handw­erk fast der Ver­gan­gen­heit an, und selb­st das Korb­macher­handw­erk wird sel­tener. Es gibt in Hil­far­th kaum noch Lehrlinge, die es erler­nen wollen. Die Beruf­ss­chule für Korb­mach­er ist bere­its seit eini­gen Jahren geschlossen. Ander­er­seits bieten sich am Rande Hil­far­ths seit ger­aumer Zeit zahlre­iche Arbeit­splätze in neuen Fab­riken, in denen Tex­tilien, Schuhe und Möbel hergestellt wer­den. Der größte Teil der Hil­far­ther Bevölkerung ist jedoch auf der Steinkohlen­zeche Sophia-Jaco­ba in Hück­el­hoven oder in den Glanzstof­fw­erken von Ober­bruch beschäftigt.


Heimatkalen­der der Erke­len­z­er Lande 1961, Seite 30 – 32.
[Abgeschrieben von Hel­mut Henßen]

Footnotes

  1. Der Tage­buchbe­sitzer Chris­t­ian Fell ver­starb am 1.11.1960
  2. altes Getrei­de­maß, in Preußen 6,955 hl
  3. altes Hohlmaß, zwis­chen 1 bis 2 Liter