Die Verwendung der Weide im allgemeinen ist seit Jahrtausenden allen Völkern, bei denen sie heimisch ist, je nach ihrem Kulturstande mehr oder weniger bekannt.
Die ältesten schriftlichen Nachrichten von der Korbweide und ihrer Verwendung liefert uns aus dem ersten Jahrhundert nach Christus der römische Naturgelehrte Plinius, der uns bereits acht verschiedene Arten aufzählt. Nach ihm wurde die Korbweide bei den alten Römern zu den verschiedenartigsten Geräten des Haushalts, der Landwirtschaft und des Kriegswesens verwandt. Ohne Zweifel kam der Weide im römischen Wirtschaftsleben eine ganz hervorragende Bedeutung zu.
Unseren Vorfahren, den Kelten und Germanen war die Verwendung der Korbweide nicht weniger bekannt. Die Ubier befuhren bereits vor Ankunft der Römer der Rhein mit Fahrzeugen, die aus Weiden geflochten und mit Tierfellen überzogen waren.
Nach Plinius bestand jedoch bei den alten Römern der hauptsächliche Gebrauch der Korbweide in der Herstellung der für die Landwirtschaft so wichtigen Wanne, lat. vannus = Getreideschwinge. Dieses Gerät mit zwei Griffen, das hinten rund gewölbt ist, dessen Wölbung nach vorne sich nach und nach vermindert, hat die Gestalt einer Muschel. Das ist die berühmte Hohlmuschel der Ägypter, Athener und Römer, auf welche die Alten die Kinder gleich nach der Geburt brachten.
Und wie die Römer unseren Landen mit einer neuen fortgeschrittenen Kultur den Weinbau, die Webkunst und manches Handwerk brachten, so mag wohl auch die Kunst des Wannmachens von ihnen auf unsere Vorfahren überkommen sein. In Hilfarth, an der heilen Fahrt durch die Rur, am Kreuzungspunkt alter Heerstraßen, wo in früheren Jahrhunderten römische Krieger, Kaufleute und Handwerker auf ihrem Zuge nach Belgien oder ins Innere Germaniens längeren oder kürzeren Aufenthalt nahmen, von denen gefundene Urnen und Münzen aus der Zeit des Kaisers Hadrian (117 – 138 nach Christi Geburt) Zeugnis ablegen, blüht seit Jahrhunderten das alte Gewerbe der Wannmacher.
Wohl kein Handwerk ist in unserer näheren und weiteren Heimat seit Jahrhunderten im wechselvollen Lauf der Geschichte so bodenständig und seinem Orte und sich selbst so treu geblieben wie die Wannmacherei in Hilfarth. Die schwersten Zeiten, die schlimmsten Kriegsdrangsale, von denen alte Hausinschriften unseres Ortes uns berichten wie: „Einmal bin ich durch Krieg abgebrannt, nun stehe ich in Gottes Hand“ oder „Ich stehe in Gotttes Hand, Er behüt‘ mich für Feuer und Brand“ haben dem zähen, seine Scholle und sein Handwerk liebenden Stamme der Wannmacher nichts anhaben können. Mit dem Neubau der Häuser ist das Handwerk immer wieder neu entstanden. Fast die Hälfte sämtlicher männlicher Einwohner von Hilfarth sind in den alten kirchlichen Heirats- und Sterberegistern der früheren Pfarre Brachelen mit „vannorum artifex“ = Wannenkünstler, Wannmacher eingetragen. Jeder zweite Familienvorstand betrieb mit seinen Söhnen die Wannmacherei. Genaue Einwohnerzahlen aus früheren Jahrhunderten, an Hand deren die Zahl der Wannmacher einigermaßen festgestellt werden könnte, sind nur vom Jahr 1760 bekannt. Damals hatte Hilfarth 550 Einwohner. Die Zahl der Wannmacher dürfte demnach schätzungsweise zum allermindesten 70 betragen haben. Bei 200 Arbeitstagen und einer Einzelleistung von 2 Wannen pro Tag dürfte die Jahresproduktion die Zahl von rund 30.000 Wannen erreicht haben. Wenn auch diese Zahl in Zeiten schwerer Kriegsdrangsale nicht immer eingehalten sein mag, so gibt sie uns doch ein ungefähres Bild von der damaligen Bedeutung des Handwerks.
Begünstigt durch die Lage an der Flüssen, der Rur, des Merzbaches und der Wurm, deren Ufer die wildwachsenden Weiden hergeben, sowie durch den bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts bestandenen Kappbusch, der das Holz für die Schienen lieferte, blieb das Wannmacher-Handwerk lebensfähig. Bald jedoch wird aus unserem Ortsbilde die Gestalt des alten Wannmachers verschwunden sein. Moderne Getreide-Reinigungsmaschinen haben sein Erzeugnis fast ganz verdrängt und unsere heutige Zeit, die der Erlernung eines Handwerks nicht mehr so freundlich gesinnt ist, bringt es so viel rascher zum Absterben.
Das Handwerk ist, wie du lieber Heimatleser es auf dem Bilde des Hilfarther „vannorum artifex“, des alten Christian aus dem Stamme der Wannmacher Königs erblickst, ein recht beschwerliches. In gebückter sitzender Stellung flechtet er die Weiden um die Holzschienen, und mit dem Eisen klopft er die geflochtenen Weiden dicht zusammen, damit seine Wann auch recht stark und stabil wird. Nach Vollendung des Rumpfes bringt er noch zwei Holzgriffe an, und die Wanne ist gebrauchsfertig. Aber nicht nur die Anfertigung, sondern auch die Vorarbeiten, das Schneiden und Schälen der Korbweiden, das Fällen der Bäume, das Reißen der Holzschienen, die gekocht werden, ehe sie verarbeitet werden können, erfordern ein großes Maß Arbeit und Ausdauer.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts entnahmen die Wannmacher, wie bereits erwähnt, ihr Material ausschließlich den an den Ufern der Flüsse wildwachsenden Weiden. Das Schienenholz lieferte gleichfalls die altgermanische Allmende, der allen Einwohnern gemeinsam gehörende, im Jahre 1855 gerodete frühere Kappbusch. Korbweidenkulturen gab es nur vereinzelt in ganz kleinen Parzellen seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Erst mit der Rodung der großen Waldungen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begannen sowohl die Gemeinden als auch Private mit Weidenkulturen, und in dieser Zeit entstand in Hilfarth neben der Wannmacherei die Korbmacherei, die sogenannte Weißarbeit, die Anfertigung von Körben aus weißen geschälten Korbweiden, die sich dann langsam auf die weitere Umgebung ausdehnte. Hilfarth ist somit die Wiege der Korbwaren-Industrie unserer Heimat und der Hilfarther Wannmacher der Vorgänger des Korbmachers.
Nach einer sehr genauen Statistik des früheren Landrats Janssen vom Jahre 1875 wurden von den im ganzen Kreise geernteten 64.130 Gebund Weiden von 1,1 m Umfang in Hilfarth allein 23.300 Gebund zu Waren, vornehmlich zu weißen Korbwaren verarbeitet. Aus dieser Statistik erhellt die Bedeutung der Hilfarther Wann- und Korbmacher für die Korbwaren-Industrie unseres Kreises.
Den Absatz der Wannen besorgten in früheren Zeiten die Wannmacher selbst, indem sie mit Schubkarren ihre Ware den näher gelegenen Märkten zuführten. Zum größten Teile jedoch vermittelten einheimische Händler den Verkauf. Diese kauften die Wannen zu Tausenden auf und brachten sie mit der Fuhre auf die weitergelegenen Märkte. Ein Hauptwannenmarkt war Pützchen bei Bonn. Nach Cöln jedoch wurden die meisten Wannen abgesetzt, die dann von den Händlern stromauf und stromab verschickt wurden.
Schwere Zeiten haben die Wannmacher im Lauf der Jahrhunderte gehabt, karg war der Verdienst und schwer die Arbeit, aber nichtsdestoweniger sind sie ihrem alten Handwerk Generationen hindurch treu geblieben. Die paar Wannmacher, die heute noch ihr Handwerk ausüben, finden erfreulicherweise ihren auskömmlichen Lohn, und da auch heute noch trotz der Wannmühlen und Maschinen in keinem geordneten landwirtschaftlichen Betriebe ein Wanne, sei es zur Reinigung von Getreide oder anderen Sämereien, fehlen darf, so würde das Handwerk goldenen Boden für diejenigen haben, die willens sind, dasselbe zu erlernen. Aber leider ist die fabrikmäßige Einstellung unseres heutigen Wirtschaftslebens, das von frühester Jugend an Verdienst und Erwerb verlangt, der Erlernung des Handwerks nicht mehr hold. Und ehe es anders wird, sind die Meister nicht mehr. Der alte Wannmacher, der „vannorum artifex“ wird dann auch der Vergangenheit angehören, und von seinem Leben und Streben vermag uns dann außer alten Zeugen nur noch der Heimatkalender zu erzählen.
[ Heimatkalender der Heinsberger Lande 1926, S. 79 – 81 ] Abgeschrieben von Helmut Henßen