Franz Moll: Hilfarther Körbe reisen um die Welt

Wenn die Kohlen der nahen Zeche Sophia-Jaco­ba Hück­el­hovens Namen in alle Welt tra­gen, wenn die Maschi­nen der Erke­len­z­er Fab­riken für unsere Kreis­stadt in der ganzen Welt wer­ben, so geben Hil­far­ther Körbe unserem Namen in ganz Deutsch­land einen guten Klang. Hil­far­ther Großhändler sind mit den Erzeug­nis­sen der Korb­mach­er auf den großen Messen Deutsch­lands vertreten. Sie verkaufen die Körbe an die Indus­trie, die großen Kaufhäuser und Spezialgeschäfte, die sie an die Ver­brauch­er weit­er­leit­en. Es war nicht immer so.

Wer hat nicht schon auf Deutsch­lands Straßen die flinken Liefer­wa­gen, die großen, mit Zug­maschi­nen bespan­nten Wohn­wa­gen, hoch mit Kör­ben beladen, gese­hen? Es sind die Hil­far­ther fahren­den Händler, welche die Korb­waren im ganzen Bun­des­ge­bi­et direkt an die Ver­brauch­er verkaufen. Sie wahren die Tra­di­tion eines einst blühen­den, aber jet­zt stark zurück­ge­gan­genen Gewerbes, der fahren­den Kau­fleute aus den Kreisen Daun und Wit­tlich in der Eifel, die in aller Welt Haushaltswaren verkauften und auch einen nicht unbe­trächtlichen Teil der Hil­far­ther Korbpro­duk­tion umset­zten. Im Win­ter fuhren die Hil­far­ther Großhändler in die Eifel und verkauften den Händlern ihre Ware. Im Früh­jahr kamen diese dann mit ihren Wagen nach Hil­far­th und belu­den sie mit Korb­waren. Die Hil­far­ther Händler mußten ihnen bis Granterath Vorspann leis­ten. Um die Jahrhun­der­twende ließen sich viele von ihnen in Hil­far­th nieder. So ist in diesen Jahren der Zuzug der Fam­i­lien Schaak, Scholtes, Müller, Haas u. a. zu verze­ich­nen. Sie macht­en im Win­ter selb­st Körbe; aber wenn das Früh­jahr nahte, wur­den die Wagen aus den Remisen gezo­gen, sie wur­den geputzt, gestrichen und lack­iert. Pferde wur­den gekauft und zulet­zt die Wagen zum Wohnen herg­erichtet und mit Waren beladen. Eines Tages, wenn die Früh­lingssonne lachte, dann war es soweit: Auf ging’s zur großen Fahrt.

Frau und Kinder, soweit sie nicht schulpflichtig waren, nah­men im Wagen, der nun bis zum Herb­st ihr Heim sein sollte, Platz. Der Vater im der­ben Man­ches­ter­anzug mit der Peitsche in der Hand, trieb das oder die Pferde an, und nun wurde, Abschied wink­end, noch ein­mal durch die Hil­far­ther Straßen gefahren. Dann ging es über die Hil­far­ther Rur­brücke der weit­en Land­straße ent­ge­gen, irgend­wohin, bis in die ent­fer­n­testen Dör­fer und Städte Deutsch­lands. Die hat­ten alle ihre fes­ten Routen und kamen sich gegen­seit­ig nicht ins Gehege. So fuhren Scholtens nach Nord­deutsch­land, bis nach Schleswig-Hol­stein,  ja, wie mir Han­ni Scholten, der vor kurzem gestor­ben ist, erzählte, hat er seine Tour schon bis Königs­berg aus­gedehnt. Müllers fuhren gegen Süden bis in die Wies­baden­er Gegend, andere nach Mit­teldeutsch­land. Haupt­ab­satz­markt war aber das Ruhrge­bi­et mit sein­er Indus­trie und sein­er Men­schen­zusam­men­bal­lung. Der Waren­nach­schub wurde ihnen von den Hil­far­ther Großhändlern bahn­lagernd nach bes­timmten Sta­tio­nen geschickt. Ein solch­er war fast für alle Ahlen in West­falen, wo sie in den dor­ti­gen Fab­riken ihre Emaille­waren kauften. Im Herb­st, wenn die Blät­ter fie­len, die rauhen Stürme den Win­ter ankündigten, kamen sie nach und nach wieder über die Rur­brücke  gefahren. Die Ankun­ft wurde meist feucht­fröh­lich gefeiert; denn auf Fahrt war ein anständi­ger Hap­pen ver­di­ent wor­den. Und das Geld saß jet­zt manch­mal lock­er in der Tasche. Es waren biedere Kau­fleute, die es durch Tüchtigkeit und Gewer­be­fleiß zu einem gewis­sen Wohl­stand gebracht haben. Es sind heute meist ihre Söhne und Nachkom­men, die den Han­del ausüben; aber es fehlt die Roman­tik der Land­straße. Mit ihren schnellen  Motor­fahrzeu­gen kön­nen sie zu jed­er Zeit und von jedem Punkt ihre Heimat erre­ichen. Außer­dem fehlt durch den Eis­er­nen Vorhang für manche der Aktionsradius.

Im vorigen Jahrhun­dert, als in Hil­far­th haupt­säch­lich Wan­nen gemacht wur­den, besorgte der Wan­n­mach­er den Absatz sein­er Waren zum Teil selb­st. Mit der Schubkarre fuhr er seine Wan­nen auf die näheren Märk­te bis nach Roer­mond und verkaufte sie dort. Den größten Teil aber nah­men die hiesi­gen Händler ab. Die jet­zi­gen Korb­waren­händler, wie Theißen, Claßen früher Rick, u. a., waren näm­lich ehe­mals Wan­nen­händler. Sie bracht­en die Wan­nen mit der Fuhre zu tausenden auf die weit­er gele­ge­nen großen Märk­te. Ein Haupt­wan­nen­markt war Pützchen bei Bonn. Die meis­ten Wan­nen wur­den nach Köln abge­set­zt. Von hier aus wur­den sie von dor­ti­gen Händlern stro­mauf und stromab weit­er verschickt.

Heute wie früher, Wan­nen und Körbe müssen hergestellt und verkauft wer­den, und nur durch ein ers­prießlich­es Zusam­me­nar­beit­en von Handw­erk­ern und Händlern wird die Exis­tenz bei­der Stände gesichert.


Heimatkalen­der der Erke­len­z­er Lande 1954, Seite 73 f.

[Abgeschrieben von Hel­mut Henßen]