Ein Beitrag zur Heimatgeschichte von Franz Moll.
Überreicht von der Kreis- und Stadtsparkasse Erkelenz aus Anlaß der Wiedereröffnung der Zweigstelle Hilfarth am 4. April 1960.
Abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen von Helmut Henßen.
Table of contents
Geschichte des Dorfes und seiner Bewohner
Hilfarth, in der Rurniederung gelegen, ist zweifellos ein sehr alter Ort, aber seine früheste Geschichte ist in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Fest steht lediglich, daß hier wichtige alte Heerstraßen die Rur kreuzten. Römische Krieger, Kaufleute und Handwerker sind Jahrhunderte lang diese Straßen gezogen, haben hier am Fluß längeren oder kürzeren Aufenthalt genommen, wovon Bodenfunde1, Urnen und Münzen, Zeugnis abgeben. Was liegt näher, als daß sich Menschen, eben unsere Vorfahren, hier am Fluß niedergelassen haben, um mit den Fremden Handel zu treiben oder ihnen ihre Dienste anzubieten, wenn sie nicht schon vorher hier wohnten, denn der Name „Hilfarth“ ist wahrscheinlich keltischen Ursprungs. Von den Römern haben unsere Vorfahren wahrscheinlich auch die Kunst des Korbflechtens, vor allem des Wannemachens erlernt. Plinius, ein römischer Naturforscher, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte, erzählt in seinem Werk vom mannigfachen Gebrauch der Korbweide für Geräte des Haushalts, des Kriegswesens und der Landwirtschaft. Gerade für die Landwirtschaft erwähnt er die Herstellung der so wichtigen Wanne, lat. vannus = Getreideschwinge. Dieses Gerät, mit zwei Griffen, das hinten rund gewölbt ist, dessen Wölbung nach vorne sich nach und nach vermindert, hat die Gestalt einer Muschel. Das ist die berühmte Hohlmuschel der Ägypter, Athener und Römer, auf welche die Alten die Kinder gleich nach der Geburt brachten. – Die Wanne, oder besser „der Wann“ fehlte früher in keinem landwirtschaftlichen Betrieb, und seine Herstellung, auf die ich später noch zu sprechen komme, bildete bis zum Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts die Grundlage eines blühenden Handwerks in Hilfarth. – Können wir also aus der vermutlichen Entstehungszeit Hilfarths nur Wahrscheinlichkeitsschlüsse fassen, so fließen auch in den folgenden Jahrhunderten die Geschichtsquellen über Hilfarth nur sehr spärlich. Lediglich über das ehemalige Franziskanerkloster St. Leonhard sind einige Quellen vorhanden, die auch etwas Licht in die Vergangenheit des Dorfes werfen. Der katholische Pfarrer Dr. Braun, der von 1869 bis 1886 in Hilfarth wirkte, hat 56 Schriftstücke aus dem Klosterarchiv abgeschrieben. Die Originale sind inzwischen leider verloren gegangen. Außerdem hat Pastor Braun Aufzeichnungen nach Angaben damals noch lebender Einwohner Hilfarths gemacht, die die Auflösung und den Verkauf des Klosters erlebt hatten.
Das Kloster zum hl. Leonhard liegt zwischen der heutigen Nohlmannstraße, Klosterstraße, Ingelmannstraße und Breitestraße. Es beherbergte zuletzt zwölf Nonnen, eine Vorsteherin, „Matersche“ genannt, und einen geistlichen Rektor. Er war Seelsorger der Nonnen und zugleich auch Verwalter des Klosters. Er hatte den gesamten Schriftverkehr mit Behörden, Gerichten, Bauern u. a. zu führen. Aber auch die Hilfarther Bauern nahmen ihn als Rechtsbeistand in Anspruch. Für den Pfarrer aus Brachelen — Hilfarth gehörte ursprünglich zur Pfarre Brachelen — übte er auch bei den Hilfarther Katholiken die Seelsorge aus. Die schlechten Wegeverhältnisse und das häufige Hochwasser machten es den Hilfarthern besonders im Winter manchmal unmöglich, ihre Pfarrkirche in Brachelen zu besuchen.
Wann das Kloster entstanden ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Ein undatiertes Schriftstück, allen Anzeichen nach von 1738, gibt zwar einige Anhaltspunkte. Es handelt sich um ein Gesuch an den Herzog von Jülich um Abgabenbefreiung. Darin heißt es u. a.:
„Wahr ist zum ersten, daß auf dem Dorfe Hilfarth vor 200 Jahren auf dem Hahnendriesch eine Kapelle gestanden, deren Renten und Güter durch herzogliche Verfügung an das Kloster abgegeben worden sind.
Wahr ist zum zweiten, daß unser Kloster Sancti Leonardi in Hilfarth im dritten Jahrhundert steht.
Wahr ist zum dritten, daß unser Kloster und Kirche vor 100 Jahren abgebrannt, wodurch alle Originaldokumente verlustig oder verbrannt sind…
Wahr ist zum fünften, daß anno 1641 Kloster und Kirche wieder erbaut worden sind…“
Undatiertes Schriftstück, vermutlich 1738
Dieses Schriftstück ist der erste schriftliche Nachweis, daß Dorf und Kloster in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert bestanden haben. Auffallenderweise enthält das in der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins (Band III, S. 297 ff.) abgedruckte Verzeichnis der durch die spanischen Kriegsvölker in den Jahren 1568 bis 1589 im Herzogtum Jülich verübten Kriegsschäden den Namen Hilfarth nicht, obwohl Brachelen mehrmals und andere kleine Ortschaften wie Hückelhoven und Lindern erwähnt sind. In einem dem Kloster entstammenden Schriftstück wird auch Klage über erlittene Kriegsschäden geführt. Wahrscheinlich unterblieb die Erwähnung des Namens Hilfarth wegen der geringen Bedeutung und der Armut des Ortes. In Hilfarth nennen alte Leute einen Ortsteil „et Spanisch“2, ohne den Grund dafür zu kennen. Vielleicht läßt sich hieraus auf die Anwesenheit spanischer Truppen oder Händler schließen.
Die alten Dokumente geben auch manchen Hinweis auf das Verhältnis der Dorfbewohner zu den Klosterinsassen. Öfters ist es zu Reiberein und Streitigkeiten gekommen über Steuerfreiheit, Gerechtsame3 und Pachtzahlungen. Oder wenn jemand seine „Kuhbeesten“ in die Klosterbenden trieb und dadurch Schaden verursachte, und wenn derselbe dann noch für zweieinhalb Gulden Bier aus der Klosterbrauerei trank, ohne zu bezahlen, dann lief das Maß über. In solchen Fällen wurde der Herr von Horrich zu Brachelen, der Herr von Leerodt, der Vogt von Heinsberg oder auch in ganz schweren Fällen der Herzog von Jülich als Landesherr angerufen. Abgesehen von solchen Streitigkeiten lebten Nonnen und Dorfbewohner in bestem Einvernehmen. Ja, in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges suchten die Dorfbewohner mit Kisten und Kasten manchmal Schutz hinter den Klostermauern. Das Vieh verbargen sie vor den fremden Kriegshorden im Kappbusch. Aber auch das Kloster war nicht „tabu“ gegen die Kriegsgefahren. Im Jahre 1641 brannte es restlos nieder. Auch die Häuser des Dorfes haben den Krieg nicht überstanden; denn bevor der letzte Krieg sein Zerstörungswerk vollbrachte, gab es in Hilfarth kein Haus mehr, das aus der Zeit vor oder während des Dreißigjährigen Krieges stammte.
Als am Ende des 18. Jahrhunderts das linke Rheinufer an Frankreich fiel, wurde im Namen der Revolution und der Republik der Hilfarther Konvent St. Leonhard gleich anderen Klöstern aufgelöst. Der ganze Besitz geriet 1802 durch Napoleonisches Dekret in die Hand des französischen Staates und wurde der Domänenverwaltung Erkelenz zugewiesen. Diese verkaufte das Kloster 1804 für 3.800 Francs an Lambert Hensen4, Hilfarth. Durch eine Intervention des Hilfarthers Peter Schunk beim damaligen Präfekten des Roer-Departements Mechaine in Aachen wurde erreicht, daß die Klosterkirche mitsamt der Rektorwohnung aus dem Verkauf herausgenommen und dem Dorfe Hilfarth überlassen wurden. Dieser Besitz bildete das Grundvermögen der späteren Pfarre Hilfarth.
Nach dem Wiener Kongreß 1815 fiel das linke Rheinufer an Preußen. Hilfarth gehörte nun zum Regierungsbezirk Aachen und zum Kreise Heinsberg. Als Spezialgemeinde bildete es mit der Spezialgemeinde Porselen zusammen die Bürgermeisterei Hilfarth. Diese war wiederum durch Personalunion mit der Bürgermeisterei Dremmen verbunden5. Aus dieser „preußischen Zeit“ sind uns Protokollbücher und Bruchstücke von Chroniken erhalten geblieben, die dem Heimatforscher viel erzählen können. Der moderne Mensch fragt sich wohl, was die damaligen Gemeindeväter vor hundert und mehr Jahren zu beraten hatten. Nun, der Unterschied gegen heute war gar nicht so groß. Auch damals befaßte sich die Tagesordnung mit Grundstückskäufen und –verkäufen, Straßen- und Brückenbau, Unterhaltung und Bau öffentlicher Gebäude, nicht zuletzt Wohlfahrtsangelegenheiten, wenn sie auch damals andere Namen hatten. Auch die übergeordneten Dienststellen waren vorhanden. Nur hießen sie damals „der hochwohlgeborene Herr Landrat, die hohe Regierung, der allergnädigste König“. Wenn es um Geldangelegenheiten ging, und um die ging es meist, wurde hart um jeden Taler und Groschen gerungen. Dann rauchten die harten Bauernschädel, und wenn sie dann hernach ihre Unterschrift unters Protokoll setzten, so war das für die meisten wohl die härteste Arbeit des Tages. Wenn man sie nämlich heute betrachtet, die Unterschriften der alten Hilfarther: Hensen, Meynen, Sieben, Pütz, Königs usw., so erkennt man unschwer, daß die Schreiber wohl besser den Pflugsterz oder das Weidenmesser zu handhaben wußten als den Federkiel.
Wenn man so die alten Folianten durchblättert, fallen einem zwei Wörter ins Auge, die immer wiederkehren: „Kappbusch“ und „Rur“. Der Kappbusch war der Schicksalswald und die Rur der Schicksalsfluß für Hilfarth. Ohne diese beiden Faktoren könnte man sich ein Leben im alten Hilfarth gar nicht vorstellen.
Der Kappbusch
Der Kappbusch6 war einer jener uralten Gemeinschaftswälder, von denen Wohl und Gedeih mancher Dörfer abhing, hier Hilfarth, Brachelen und Lindern. Der Kappbusch reichte von Brachelen bis zur „Schanz“ bei Ratheim und grenzte hier an andere Waldgebiete, welche die Rurniederung bis nach Holland hin ausfüllten.
Hier wucherte in der Niederung zwischen Wurm und Rur, zwischen Sumpf und Sud, zwischen Rohr und Ried der Wildwuchs des Waldes, wie er den Niederungen eigen ist. Doch bot er als Allmende den Eingesessenen großen Nutzen. Da konnten sie zu Bau und Brand das nötige Holz hauen oder „kappen“. Daher erhielt der Wald seinen Namen „Kappbusch“ und die Hilfarther ihren Spitznamen „Kappehäuer“. Dem Landesherrn stand die Jagdgerechtigkeit zu. Die Bauern aber trieben ihr Vieh hier zur Weide, die Rosse und Rinder, und die Sauen zur Eichelmast. Die Wannen- und Korbmacher fanden hier wildwachsende Weiden als Arbeitsmaterial. Laub und Bucheckern wurden gesammelt. Der Wald lieferte Zaun- und Pliestergerten, Lehm zum Bauen und zur Uferbefestigung der Rur.
Alle Nutznießer achteten natürlich sorgfältig darauf, daß ihre Rechte nicht beschnitten wurden. Der Landesherr hatte des Wildes acht, die Eingesessenen des Waldes und der Weide. Es gab unter ihnen aber Berechtigte und Meistbeerbte. Den letzteren stand ein größerer Anteil am Holze zu. Gebmänner wiesen auf alljährlichen Holzgedingen jedem seinen Anteil am Holze zu. Diese Verteilung regelte die Waldrolle, die zum erstenmal im Jahre 1476 genannt wird. Wer sich gegen die Waldrolle verging, der wurde in Poen7 und Strafe genommen. Da ging es immer hart her, es fehlte nicht an bösen Worten. Friedlichen und besänftigenden Abschluß aber brachte allem Hader und Gezänk stets ein Mahl, welches nach dem Geding der Beerbten aufgetragen wurde.
Solange der Herzog von Jülich Landesherr war, kam es immer nur zu einzelnen Verstößen gegen die Waldrolle. Als aber unser Gebiet preußisch geworden war und die Ortschaften um den Kappbusch voneinander unabhängige Gemeinden wurden, entbrannte der Streit um die alten Gerechtsamen. Besonders leidenschaftlich wurde er zwischen Hilfarth und Brachelen geführt. Hilfarth kämpfte für die alten Naturalrechte, während Brachelen auf Teilung drängte. Um 1840 begann der Prozeß, den die Hilfarther mit großen Kosten bis zum König laufen ließen, und 1851 unterlagen sie doch. Es kam zur Teilung des Waldes. Die Beerbten erhielten 1100 Morgen, die Gemeinde Brachelen 550, Lindern 50 und Hilfarth 300 Morgen. Und nun war es mit der Herrlichkeit des Waldes zu Ende, des Waldes, in dem Kaiser8 und Fürsten fröhliche Hatz auf Hirsch und Sau getrieben, wo 1835 der letzte Wolf zwischen Wurm und Schwalm erlegt wurde, des Waldes, der vielen Generationen den Lebensunterhalt gegeben hatte.
Rasch war der Rodepflug zur Stelle, und aus dem Wald wurde Kulturland: Ackerland, Viehweiden, Korbweidenkulturen.
Heute sind nur noch Reste des Waldes vorhanden, nämlich der Himmericher Busch und der Brachelner Busch.
Die Rur
(Früher war die niederländische Bezeichnung „Roer“ üblich)
Sie war hier immer Grenze. In der römischen Zeit war sie Stammesgrenze zwischen dem Gebiet der Ubier und Tungerer. Im Herzogtum Jülich schied die Rur hier den alten Jülichgau vom Mühlgau. Bis zum Jahre 1802 war sie Diözesangrenze zwischen Köln und Lüttich. Bis zum Jahre 1932 war sie Kreisgrenze zwischen Heinsberg und Geilenkirchen.9 Bis zum Zusammenschluß der Großgemeinde im Jahre 1935 war sie noch Grenze zwischen den Gemeinden Hilfarth und Hückelhoven.
Der ungebärdige Fluß, der seine Wildwasser von der Eifel her heranführt, umfließt in einem weiten Bogen das Dorf Hilfarth. Das Dorf selbst liegt auf einer Bodenwelle, die sich von Südwesten her hier an den Fluß heranschiebt. Daher auch der Name, der in alten Urkunden „op et Hilfart“, „op dem Hylfart“, „op dem Heilfarth“, oder im heutigen Volksmunde „op et Hellvert“ genannt wird. „Op“ weist auf die Bodenerhebung, „Hilfart“ auf eine Fart oder Furt am Hellwege oder Heerwege hin. Die Bodenwelle war aber noch nicht hoch genug, um das Dorf gegen die häufigen Überschwemmungen und das Hochwasser der Rur zu schützen. Deshalb schützten sich die Bewohner durch Dämme und Deiche, so gut sie konnten. Der jetzige Rurdamm von der Rurbrücke bis Brachelen wurde in den Jahren 1868 bis 1873 angelegt. Die Kosten mit dem Erwerb von 36 Morgen Land betrugen 13.000 Taler.
Die infolge des starken Gefälles rasch dahinschießenden Fluten unterspülten das Ufer, rissen oft große Strecken guten Acker- und Wiesenlandes los, wühlten sich nicht selten ein ganz neues Bett und verwandelten dadurch viele 100 Ar nutzbaren Landes in öde Kiesfelder. Dagegen halfen nur Uferbefestigungen, oder Battungen, wie man sagt. Diese mußten ursprünglich von den Anliegern ausgeführt werden..
Aber schon 1847 erkannte der Gemeinderat, daß diese nicht dazu in der Lage waren und beschloß, daß die Battung Sache der Gemeinde mit Unterstützung der Regierung sei. Im Jahre 1875 wurde am Schmalbett ein neues Verfahren der Flußregulierung nach einem Entwurf von Bau- und Reg.-Rat Kruse, Aachen, durchgeführt. Eine Hauptbuhne wurde gegen den Strom in das Flußbett gebaut. Die Anlage bewährte sich. Damit war ein neues System gefunden, das auch heute noch zur Regulierung von Flußläufen angewandt wird.
Das Hochwasser kam regelmäßig wie die Jahreszeiten, und die Menschen hatten sich damit abgefunden, daß sie dann oft wochenlang von der übrigen Welt abgeschlossen waren. Aber manchmal gab es Katastrophen, die die Menschen an den Rand des Ruins brachten. Aus dem Jahr 1883 wird berichtet, daß das ganze Dorf überschwemmt war. An der Kirche stand das Wasser 60 cm hoch. Die Verheerungen durch das Hochwasser waren so groß, daß für die Betroffenen Hauskollekten abgehalten wurden.
Die älteren Menschen erinnern sich gewiß noch der Hochwasserkatastrophe vom März 1914, als am „Driepool“ das Wasser die Straße nach Hückelhoven in einer Länge von 50 m und einer Tiefe von 4 m unterkolkt hatte. Die gegenüberliegenden Häuser waren gefährdet. Eine Abteilung Deutzer Pioniere traf zur ersten Hilfeleistung ein.10 Die endgültige Wiederherstellung hat noch lange Jahre gedauert. Durch den Bau der Talsperren in der Eifel und die Flußregulierungnen sind die Überschwemmungen seltener geworden, durch die letzte Aufstockung des Rursees in Schwammenauel wird es vielleicht soweit kommen, daß die jetzige Generation kein richtiges Hochwasser mehr erlebt.
Wie schon vorher erwähnt, wickelte sich der Verkehr über die Rur in den früheren Jahrhunderten durch eine Furt ab. Diese befand sich nach meinen Feststellungen an der „Bleek“, oder wie man heute sagt, am „Kiesplay“. Im Jahre 1770 bauten die Hilfarther hier die erste Holzbrücke.11 Diese aber wurde im Jahr 1793 von den kaiserlichen Truppen abgebrochen, als die französischen Revolutionstruppen sich in der Schlacht bei Aldenhoven am 1. März den Übergang an der Rur erkämpften12.
Im Jahr 1830 wurde an der Stelle der jetzigen Rurbrücke wieder eine Holzbrücke gebaut.13 Man versuchte, Hückelhoven an den Kosten zu beteiligen, da ja die Brücke zur Hälfte auf Hückelhovener Gebiet lag. Aber Hückelhoven weigerte sich zu zahlen, wahrscheinlich war die Gemeinde finanziell noch schwächer als Hilfarth. Man versuchte Brückenzoll zu erheben. Das wurde von der Regierung verboten, weil es sich um eine Communalbrücke handelte. Die Brücken unterhalb in Ratheim, Vlodrop,
Odilienberg erhoben alle Brückenzoll, aber es waren Privatbrücken, während die Brücken oberhalb in Linnich, Jülich und Düren Staatsbrücken waren. Als nun in den vierziger Jahren die Eisenbahn Aachen – Düsseldorf gebaut wurde, rollten die schweren Baufuhrwerke über die Brücke. Kurzerhand schloß man für fremde Fuhrwerke die Brücke und wies ihnen die alte Furt wieder zu. Aber auch mit dieser Maßnahme hatten sie keinen Erfolg. Sie mußten die Brücke wieder öffnen. So kam es, daß schon 1852 eine Reparatur von 1500 Talern notwendig war.
Die letzte gründliche Reparatur dieser Brücke führte der Wagner Ludwig Lemarié aus Hilfarth im Jahre 1887 mit einem Kostenaufwand von rund 5000 Mark durch, woran sich auch Hückelhoven mit ca. 500 Mark beteiligte.
1921 beschloß der Gemeinderat, die Brücke nicht mehr zu reparieren, sondern eine neue Brücke aus Eisenbeton zu bauen. Aber augenblicklich herrschte ein derart wirtschaftlicher Tiefstand, daß an den Bau nicht zu denken war. Da kam 1923 der Ruhreinmarsch der Franzosen und im Anschluß daran der passive Widerstand der Deutschen. Alle Räder standen still, aber die Gelder für öffentliche Bauten flossen reichlich. Es kam günstig aus, daß die Personalunion mit Dremmen aufgehoben wurde, und Hilfarth bekam den jungen tatendurstigen Bürgermeister Bell, der sofort die Sache in die Hand nahm. Mit dem Bau wurde die Firma Rossel & Cie. aus Bremen, die hier an der Zeche arbeitete, beauftragt. Die Hilfarther Bauern und Fuhrleute leisteten Spanndienste und holten die Baumaterialien vom Rhein und sonstwo her. Am 15.9.1924 sollte die Brücke fertig sein; aber im Februar 1924 konnte sie schon dem Verkehr übergeben werden.
Als im Herbst 1944 die Kriegsfurie ins Rurtal getragen wurde, hatte die Brücke strategischen Wert. Sie war das Ziel zahlreicher Bombenangriffe, wurde aber nicht zerstört, nur beschädigt und konnte nach dem Kriege, wenn auch mit Einschränkungen, sofort wieder benutzt werden. Am 8. Mai 1949 war sie wieder hergestellt und wurde als „Michaelsbrücke“ geweiht und dem Verkehr übergeben.
Nicht wichtig — aber interessant
Notizen aus dem alten Hilfarth des 19. Jahrhunderts:
Aus dem Schulleben. – Die Bürgermeistereiräte von Hilfarth und Dremmen faßten 1848 den Beschluß, sämtlichen Lehrern an allen Schulen ein einheitliches Jahresgehalt von 130 Talern zu zahlen.
In den Jahren 1850 – 52 baute die Gemeinde Hilfarth zwei Schulen, eine katholische Schule auf dem ehemaligen Klostergelände an der jetzigen Nohlmannstraße, eine evangelische Schule mit Spritzenhaus an der jetzigen Marienstraße – Brückstraße.
Der Gemeinderat von Hilfarth beschloß 1852, das von der Regierung in Aachen herausgegebene „Amtliche Schulblatt“ zu beziehen und auch der Lehrerschaft Einblick darin zu gewähren.
Straßenbau: — Im Jahre 1852 wurde eine gerade Straße von Linnich über Brachelen, Hilfarth nach Wassenberg gebaut. Das bedeutete für Hilfarth Anschluß an die großen Verkehrsstraßen.
Von der Post: — Im Jahre 1852 wurde der erste Postbriefkasten in Hilfarth auf Kosten der Gemeinde angebracht. Die hiesige Postagentur erhielt im Jahre 1883 Telefonanschluß.
Industrie und Soziales: — Im Jahre 1884 wurde in Hilfarth eine Strickwarenfabrik aufgemacht, die zunächst 25 Arbeiter beschäftigte, sich aber bis 1896 auf 100 Arbeiter vergrößerte. Im Jahre 1885 wurde die Ortskrankenkasse Hilfarth-Ratheim gegründet. Die Beiträge betrugen für männliche Arbeitnehmer wöchentlich 18 Pf., für weibliche Arbeitnehmer 12 Pf. und für Lehrlinge 9 Pf., 50 Pf. und 40 Pf.
Straßenbeleuchtung: — Die erste Straßenbeleuchtung bekam Hilfarth im Jahre 1895. Der Gemeinderat schaffte zu diesem Zwecke 16 Petroleumlaternen zum Preise von 662 Mark an und ließ sie in den Straßen anbringen.
Wannemacher und Korbmacher
Weite Korbweidenfelder und hohe Pappeln prägen das Landschaftsbild der Rurniederungen. Korbweiden und Pappeln bilden die Grundlage für zwei uralte Gewerbe, die hier betrieben werden. Pappeln liefern das Holz für Holzschuhe – „Klompe“ – die Korbweiden sind das Rohmaterial für den Korbmacher. Die Holzschuhmacher sind ausgestorben. Der Lederschuh hat den Holzschuh verdrängt.
Die Korbmacher aber üben ihr Gewerbe wie vor Jahrhunderten aus. Hilfarth ist der Mittelpunkt der Korbmacher an der Rur. Während in den meisten Orten an der Rur fast nur graue Körbe für Industrie und Landwirtschaft hergestellt werden, stellen die Hilfarther Korbmacher fast nur weiße Körbe aus geschälten Weiden in allen Formen und für alle Zwecke her. Die Korbmacherei hat dem Dorf und seinen Bewohnern ihren Stempel aufgedrückt, und wenn auch die nahe Zeche Sophia Jacoba und die Glanzstoffwerke Oberbruch heute vielen Menschen Arbeit und Brot geben, wenn auch die Bergarbeitersiedlungen immer tiefer in das Ortsbild hineinwachsen, so bleiben doch bodenständige Menschen dem alten Handwerk mehr oder weniger verwachsen. Oder sollte es jetzt zu einer echten Krise kommen, die den Korbmacher den Weg des Holzschuhmachers gehen läßt? – Schon immer war das Handwerk Konjunkturschwankungen unterworfen. Seit Jahrhunderten hatten die Korbmacher gute und schlechte Jahre. Nach dem letzten Kriege setzte eine Blütezeit ein; denn es herrschte ein großer Nachholbedarf. Noch vor drei Jahren saßen in Hilfarth etwa 250 Korbmacher auf den „Plank“, das ist die Arbeitsbank. Dann kamen Einfuhren billiger, wenn auch minderwertiger Korbwaren aus den Ostblockstaaten und erschütterten das Preisgefüge. Dazu wurde der Markt mit Kunststofferzeugnissen als Ersatz für Korbwaren beschickt. Das führte bei den Korbmachern an der Rur zu einer Absatzkrise, die heute noch besteht. Viele, besonders jüngere Korbmacher, verließen die „Plank“ und gingen zur Zeche oder in die Industrie. Augenblicklich mögen noch etwa 80 Korbmacher ihrem Beruf treu geblieben sein, und die alten Meister sind zuversichtlich. Sie glauben, daß auch in Zukunft wie früher sich die Hilfarther Qualitätsarbeit wieder durchsetzen wird. Jeder Heimatfreund wird ihnen die Daumen halten; geht doch das Handwerk, wie eingangs schon erwähnt, vielleicht aus der Römerzeit hervor. In früheren Jahrhunderten waren es die Wannemacher14 , die den Ruf Hilfarths hinaus in die Welt trugen. Im 18. Jahrhundert war jeder zweite männliche Einwohner Hilfarths Wannemacher, „vannorum artifex“ = Wannenkünstler, wie sie in alten Heirats- und Sterberegistern in der Kirche in Brachelen eingetragen sind. Um 1760 hatte Hilfarth 550 Einwohner. Davon waren mindestens 70 Wannemacher. Bei einer Tagesleistung von zwei Wannen und 200 Arbeitstagen mögen sie etwa 30.000 Wannen hergestellt haben. Diese Zahl gibt uns ein Bild von der damaligen Bedeutung dieses Handwerks. Die Ware wurde von Händlern an den Rhein gebracht, von wo sie ihren Weg zu den Bauern in ganz Deutschland fanden. Die Wannemacher selbst brachten auch auf Handkarren ihre Erzeugnisse nach Pützgen bei Bonn, wo alljährlich der größte landwirtschaftliche Markt stattfand. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts griff das Maschinenzeitalter immer mehr auch in die Landwirtschaft über, und der „Wann“ wurde allmählich überflüssig. Dadurch ging das Handwerk ein, und aus den Wannemachern wurden Korbmacher. Nur die „Wannemacherstraße“ erinnert noch an das einmal blühende Handwerk. Hoffen wir mit den Korbmachern, daß ihnen das Schicksal der Wannemacher erspart bleibt.
Besiedlung
Während bis zur Jahrhundertwende der Ort sich auf das Gelände östlich der „Steenebrück“ und der „Moll“ (Flutgraben) beschränkte, griff er zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum erstenmal über diese Grenze hinaus. Es wurden die Häuser an den „Hecken“ (Kapphofstraße) gebaut. Doch blieb im allgemeinen bis zum Ersten Weltkrieg die Bautätigkeit gering. Erst zwischen den Weltkriegen setzte sie stärker ein. An der Goethe‑, Schiller- und Kleiststraße entstanden die ersten Häuser. Die Siedlung an der Callstraße wurde gebaut, und die Reihe Häuser an der Brachelner Straße gegenüber dem Weidenplatz wuchs über das bisherige Ortsbild hinaus. Auftrieb in Bautätigkeit gab die rasche Aufwärtsentwicklung der Zeche Sophia Jacoba. Diese führte dann ja auch im Jahre 1935 zum Zusammenschluß der Gemeinden Hückelhoven-Ratheim. Damit geriet Hilfarth in den wirtschaftlichen Sog der Fördertürme und in die Entwicklung zur Industriegemeinde. Aber diese wurde durch den Zweiten Weltkrieg jäh gestoppt. Hilfarth, das 1944 – 45 drei Monate in der Kampffront lag, wurde zerstört. Die Bewohner fanden, als sie aus der Evakuierung zurückkehrten, ein vermintes Trümmerfeld vor. Aber jetzt zeigte sich der alte Pioniergeist und die Heimatliebe der alten Hilfarther. Mit ungebrochenem Mut und mit den primitivsten Mitteln beseitigten sie die ärgsten Schäden, und nach der Währungsreform 1948 dauerte es nicht lange, und Hilfarth stand wieder. Nun setzte aber auch eine rege Bautätigkeit ein. Die „Rheinischen Heimstätten“ bauten die Siedlung an der Uhlandstraße, dann an der Kleiststraße. Allmählich schlossen sich die Baulücken an den „Dichterstraßen“ durch Geschäfts- und Privatbauten. Dann begann man 1953 zwischen Kleiststraße und Himmericher Weg mit der großen Bergmannssiedlung, die 1955 vollendet wurde und 468 Wohnungseinheiten umschloß. Es folgten in den letzten Jahren die landwirtschaftliche Siedlung westlich des Sportplatzes und zuletzt die Siedlung an der „Schliek“. Beide Siedlungen bestehen nur aus Eigenheimen.
Die Einwohnerzahlen stiegen natürlich entsprechend. Folgende Zahlen geben ein Bild: Ende des 18. Jahrhunderts hatte Hilfarth ca. 600, Ende des 19. Jahrhunderts ca. 1600 und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ca. 2000 Einwohner. Jetzt ist die Einwohnerzahl auf über 4500 gestiegen.
Gleichzeitig mit dem Wiederaufbau und der Erschließung von neuem Baugelände wurden auch die Straßen ausgebaut. Heute hat ganz Alt-Hilfarth vorbildliche Straßen bis auf die fehlenden oder mangelhaften Bürgersteige, was sich besonders auf der verkehrsreichen Breitestraße für die Fußgänger übel auswirkt. In den neuen Ortsteilen muß wohl erst die Kanalisation durchgeführt sein, ehe man die Straßen zeitgemäß herstellt.
Nicht vergessen dürfen wir in diesem Zusammenhang die Bebauung der Hilfarther Straße zwischen Hilfarth und Hückelhoven. Früher gab es jenseits der Rurbrücke nur einige Häuser, die eigentlich zu Hückelhoven gehörten, deren Bewohner sich aber stets als Hilfarther fühlten. Dann begann bis zum Bahnübergang das „Niemandsland“. Als man aber die ehemalige „Ferkesstraße“ zu einer modernen Verkehrsstraße ausgebaut hatte, entstanden beiderseits Industrie‑, Geschäfts- und Privatbauten. Die Zeche baute eine große Wohnsiedlung für Beamte und Angestellte, und jetzt sind nur noch wenige Baulücken vorhanden. Die „städtebauliche“ Verbindung zwischen Hilfarth und Hückelhoven ist hergestellt.
Kirchen und Schulen
Durch bischöfliches Dekret vom 1.3.1804 wurde Hilfarth von der Mutterkirche Brachelen abgetrennt und zur selbständigen katholischen Pfarre erhoben. Die ehemalige Klosterkirche wurde Pfarrkirche. Weil sie zu klein war, wurde sie 1850 durch Anbau in der Länge auf die doppelte Größe erweitert. Um die Jahrhundertwende war sie wieder zu klein geworden, und unter Pfarrer Nohlmanns begann man 1904 mit dem Bau der jetzigen Pfarrkirche. Bereits im Herbst 1906 zog man in das neue Gotteshaus ein, während die feierliche Konsekration erst im Jahre 1911 erfolgte. War es Weitblick oder nur frommer Glaube, der den begüterten Pfarrer Nohlmanns bewog, ein so großes Gotteshaus mit seinem 65 m hohen Turm zu bauen? Jedenfalls kann die heutige Generation ihm dankbar sein, daß er damals den „Dom des Rurtales“ errichtete; denn trotz des enormen Zuwachses an Katholiken ist die Kirche noch groß genug.
Im Kriege erlitt die Kirche durch Bomben und Aribeschuß starke Beschädigungen an Turm, Dach, Gewölbe und Fenstern. Auch die Inneneinrichtung wurde zum größten Teil zerstört. Nach der Rückkehr aus der Evakuierung hielt man zunächst Gottesdienst in einem Saal der Strumpfwarenfabrik ab; dann richtete man das alte Pfarrhaus als Notkirche ein. Aber im Frühjahr 1948 ging man daran, die vom Krieg gezeichnete Kirche wieder instandzusetzen. Den vereinten Anstrengungen aller Ortseingesessenen gelang es, das Gotteshaus vor dem Verfall zu retten und wieder so weit herzurichten, daß am Sonntag, dem 22.8.1948 der erste Gottesdienst in der Parrkirche stattfand und das Gotteshaus feierlich wieder seiner früheren Bestimmung übergeben werden konnte.
Aber noch blieben gewaltige Arbeiten zu leisten und große Opfer zu bringen, um die Kirche vollständig wiederherzustellen. Es spricht für den Opfersinn der Pfarrkinder, daß in den darauffolgenden Jahren der Turm einen neuen Kupferhelm bekam und das mit Blechen notdürftig geflickte Dach neu beschiefert wurde. Das Innere der Kirche wurde vollständig renoviert, eine neue Orgel wurde angeschafft, das Glockengeläut wurde durch eine Leihglocke aus den Ostgebieten und eine neue Glocke vervollständigt, ein neuer Altar krönte das Werk im Innenraum der Kirche. Erst vor wenigen Wochen wurden die Stahlgerüste entfernt, die den Turm bis zum Helm umschlossen. Steinmetze und Maurer hatten am Turm die letzten Kriegsschäden beseitigt. Aber noch sind Opfer zu bringen. Auch die übrigen Mauern der Kirche sind beschädigt, 25 große Fenster sind noch mit einfachem Fensterglas verglast, usw. Doch wir hoffen, daß im Laufe der Zeit auch die letzten Schäden beseitigt werden.
Die evangelische Gemeinde Hilfarths gehörte von je her zur Pfarre Hückelhoven. Als aber in den letzten 5 – 6 Jahren die Gemeinde immer größer wurde, kam der Pfarrer den Gläubigen entgegen und hielt sonntags auch in Hilfarth einen Gottesdienst ab. Dieser fand entweder in einem Wirtshaussaal [„Siebes Saal“] oder im katholischen Jugendheim statt. Man begann aber damals schon den Bau einer Kirche in Hilfarth zu planen. Am 29.2.1957 konnte der erste Spatenstich stattfinden; am 24.7.1958 war Richtfest; und am 7.6.1959 wurde die „Trinitatiskirche“ an der Goethestraße eingeweiht. Sie ist ein modernes Gotteshaus mit Gemeindesaal und Wohnung für den amtierenden Diakon. Damit hatte auch der Opfersinn der evangelischen Gemeinde reiche Früchte getragen.
Besonders hat sich der Bevölkerungszuwachs auf die Schule ausgewirkt. Die meisten Hilfarther Neubürger sind verhältnismäßig junge Leute mit bemerkenswert vielen Kindern. Beispielsweise hat Hilfarth ungefähr 1000 Einwohner weniger als Ratheim, aber es hat mehr Schulkinder. Bis vor wenigen Jahren waren die katholische und die evangelische Schule in ihren alten historischen Gebäuden untergebracht. Zwar war die katholische Schule im Jahre 1892 aufgestockt und auf vier Klassen erweitert worden, aber beide Schulen waren zu klein; es mußte schon Schichtunterricht eingelegt werden. Als der Bau der Bergmannssiedlung beschlossen war, plante der Rat vorsorglich die Errichtung einer neuen achtklassigen katholischen Volksschule. 1953 wurde mit dem Bau an der Uhlandstraße, nach den Plänen des inzwischen verstorbenen Professors Schoepen aus Aachen, begonnen. Bereits am 8.9.1954 wurde die einzigartige moderne Schule bezogen. Am 7.1.1955 fand die feierliche Einweihung statt. Die evangelische Schule siedelte in die ehemalige katholische Schule an der Nohlmannstraße über. Aus der früheren evangelischen Schule an der Brückstraße wurde die erste Übungswerkstatt für Korbmacher in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen wurden beide Schulen wieder zu klein. Die Schule an der Uhlandstraße wurde um einen Trakt (von vier Klassen) auf zwölf Klassen im Jahre 1959 erweitert. Vorläufig wurden davon zwei Klassen der evangelischen Schule zur Verfügung gestellt. 1958 aber wurde bereits der Bau einer achtklassigen evangelischen Schule beschlossen. Sie soll an der Brachelner Straße zwischen Sportplatz und Gemeindefriedhof entstehen. Mit dem Bau soll jetzt begonnen werden. Ist sie fertig, und sind an der Ulandstraße die vorgesehene Turnhalle mit Lehrschwimmbecken und die Pausenhalle einmal erstellt, und wenn uns dann die Regierung noch die nötigen Lehrkräfte zur Verfügung stellt, dann haben wir in Hilfarth ideale Schulverhältnisse.
Überhaupt entsteht hier an der Nahtstelle zwischen dem alten und dem neuen Teil Hilfarths mit einer Kirche, zwei Schulen mit Turnhalle und dem Sportplatz ein Kulturzentrum, das geeignet ist, die beiden Ortsteile nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich miteinander zu verbinden. Hier muß der Schmelztiegel sein, der aus allen Menschen, gleichviel woher sie kommen und wo sie wohnen, das macht, was sie sein sollen, nämlich „Hilfarther Bürger“.
Wirtschaft
Aufmerksam haben Hilfarther und auch auswärtige Geschäftsleute die enorme Entwicklung Hilfarths in den Nachkriegsjahren verfolgt. Sie bauten ihre Geschäfte aus und modernisierten sie. Neue Geschäfte entstanden, und heute schon zeichnen sich zwei Geschäftszentren ab. Da ist einmal das Geschäftsviertel an der Tannenstraße und zum zweiten die Breitestraße. Aber auch in den Nebenstraßen ist man nicht müßig. Man kann jetzt schon sagen, daß die gutsortierten Hilfarther Einzelhändler aller Branchen in der Lage sind, alle Wünsche ihrer Kunden preiswert und gut zu erfüllen.
Gut geleitete Handwerksbetriebe mit geschulten Fachkräften stehen mit ihrem handwerklichen Können der Kundschaft zur Verfügung.
Auch die Industrie hat wieder Einzug in Hilfarth gehalten. Ein namhaftes Unternehmen hat die ehemalige Strumpffabrik übernommen (eine kleine Strumpffabrik existiert immer noch) und betreibt in den Räumen, die sie noch ständig vergrößert und ausbaut, eine Polsterwarenfabrik. Über 100 Menschen sind hier beschäftigt.
In diesem Zusammenhang dürfen wir die Ärzte und die Apotheke nicht vergessen, die um das Wohl unserer Kranken besorgt sind und für die Gesunderhaltung unserer Bevölkerung sorgen.
Die Geselligkeit wird in behaglichen Gaststätten bei sympathischen Wirten und Wirtinnen gepflegt. Den Hilfarthern sagt man nach, daß sie wohl einen Groschen Geld zu verdienen wissen, daß sie es aber auch verstehen, einen Groschen auszugeben. Große und kleine Säle sind vorhanden, die sich für Festlichkeiten aller Art eignen. Und Feste versteht man in Hilfarth zu feiern. Ein modernes Lichtspieltheater bietet den Hilfarthern Entspannung und Erholung. Hier werden die Filmfreunde mit dem Filmschaffen der ganzen Welt bekannt gemacht.
Wenn nun ein Geldinstitut als Zweigstelle der Stadt- und Kreissparkasse in Hilfarth seinen Einzug hält, so kommt es nicht als Fremdling zu uns. Bereits vor dem Kriege unterhielt im ehemaligen Rathaus15 diese Kasse eine Zweigstelle.
Nach dem Ersten Weltkriege übernahmen die Kreissparkasse die Konten des „Vereins zur Förderung der Arbeitsamkeit“ in Aachen. Das war für Hilfarth damals die Kreissparkasse in Heinsberg. Als 1932 Hilfarth zum Kreis Erkelenz kam, übernahm die Stadt- und Kreissparkasse Erkelenz die Hilfarther Konten.\r\n
Quellen
- Pfarrarchiv, Gemeindearchiv, Heinsberger Heimatkalender 1926, 1931
Footnotes
- Nach Heinrich Terberger (Heimatkalender der Heinsberger Lande 1926, S. 79) wurden bei Hilfarth Urnen und Münzen aus der Zeit Kaiser Hadrians, 117 – 138 n. Chr., gefunden.
- Bei „Hilfarth“ (Wikipedia) heißt es, das Gebiet an der Einmündung der Kaphofstraße in die Breite Straße werde „Em Spansch“ („Im Spanischen“) genannt. Hier wird als Erklärung für diese Bezeichnung gesagt, die heutige Kaphofstraße und die Verlängerung an Kaphof vorbei habe im 16./17. Jahrhundert zur Grenze zu den Spanischen Niederlanden geführt. Etwa an der Einmündung des Teichbachs in die Rur, nahe der Gaststätte „Zur Schanz“, sei ein Grenzübergang gewesen.
- Berechtigungen oder Verpflichtungen, die an ein Grundstück gebunden waren
- Lambert Henßen, (1776 – 1818), Bruder des langjährigen Hilfarther Bürgermeisters Caspar Henßen (1782 – 1845)
- In der Frühzeit der Gemeinde / Bürgermeisterei Hilfarth gab es die Personalunion mit Dremmen noch nicht. Aus der Chronik der Bürgermeisterei Hilfarth, in der die Jahre 1848 – 72 fehlen, geht hervor, dass die Personalunion 1873 schon bestanden hat. Die Personalunion mit Dremmen wurde „mit dem 1. Februar 1923 aufgehoben“. [Chronik, S. 116] Am gleichen Tag trat Friedrich Bell seinen Dienst als Hilfarther Bürgermeister an. Er blieb Bürgermeister bis Anfang 1932; dann wurde er Bürgermeister in Wassenberg. In Hilfarth wurde die Stelle des Bürgermeisters nicht mehr besetzt. Die Dienstgeschäfte des Bürgermeisters wurden vom 1. Beigeordneten, „Ehrenbürgermeister“ Goeres wahrgenommen. Am 1.10.1935 fiel Hilfarth an die neu gebildete Gemeinde Hückelhoven.
Aus der Chronik der Bürgermeisterei Hilfarth geht auch hervor, daß 1822/23 die Bürgermeisterei Hilfarth ganz aufgelöst werden sollte: „Am 13. Mai [1822] wurde vom hohen Ministerio des Innern genehmigt, daß die Bürgermeisterei Hilfarth aufgelöst werden und mit dem Anfang des Jahres 1823 die Gemeinde Hilfarth zu Brachelen und die Gemeinde Porselen zu Dremmen in die Bürgermeisterei-Verbände gehören sollten. Die Ausführung dieser Maßregel wurde später vor der Hand ausgesetzt.“ [Chronik, Seite 16] Die Hilfarther wandten sich mit einer Bittschrift um den Fortbestand der Bürgermeisterei an die Regierung in Aachen, und der Bürgermeister wandte sich sogar an das „Hohe Ministerium“. Daraufhin wurde von der Auflösung Abstand genommen. [Chronik 1923, S, 17] - Der Abschnitt über den Kappbusch basiert auf den Aufsätzen „Der Kappbusch“ von W. J. Spehl im Heimatkalender der Heinsberger Lande 1931 (Seiten 80 – 82) und „Der letzte Wolf im Rur-Schwalmgebiet“ von Edmund Knorr im Heimatkalender der Heinsberger Lande 1926 (Seiten 39 – 42)
- Strafe. „Nulla poena sine lege“ – keine Strafe ohne Gesetz
- In den beiden Artikeln im Heimatkalender 1926 habe ich keinen Hinweis darauf gefunden, daß ein Kaiser hier gejagt hat. Wohl habe nach einer Sage der Jülicher Herzog, der Kaiser Sigismund bei der Krönung in Aachen eine Kappe geschenkt hat, zum Kaiser gesagt, er habe noch eine bessere Kappe, und das sei die Kappe bei Brachelen. (Spehl, S. 80)
- Statt Geilenkirchen muss es Erkelenz heißen – dies träfe aber nur für das Hilfarther Gebiet zu. Ratheim und Myhl gehörten bis 1932 auch zum Kreis Heinsberg; Wassenberg ebenfalls und noch bis 1971 zum Kreis Geilenkirchen-Heinsberg.
- Foto auf Seite 109 in: Helmut Henßen, Die Berichterstattung der Lokalzeitungen…
- In der Chronik der Bürgermeisterei Hilfarth (1831, S. 30) wird das Jahr 1774 als Erbauungsjahr genannt. Allerdings wurde die Brücke nicht am Kiesplay errichtet, sondern ungefähr da, wo sich auch die heutige Brücke befindet. In der Tranchot-Karte (1803–1813) und der Flurkarte III des preußischen Urkatasters von 1824 ist die Rurbrücke ebenfalls am heutigen Standort eingezeichnet. In seinem Artikel „Die Rurbrücke in Hilfarth“ im Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1974 hat Franz Moll nicht mehr behauptet, die erste Brücke habe am Kiesplay gestanden.
- Hier ist Franz Moll ein Fehler unterlaufen, den er in seinem Artikel „Die Rurbrücke“ in Hilfarth“ im Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1974, S. 83, richtiggestellt hat. Dort schreibt Franz Moll: „Doch schon 1792 wurde ihnen die Brücke, eine Holzbrücke wie die anderen an der unteren Rur, abgebrochen. Als nämlich die verbündeten Österreicher und Preußen, auch Kaiserliche genannt, nach der Kanonade von Valmy (Nordfrankreich) vor den französischen Revolutionstruppen ostwärts zurückwichen und die Rur erreichten, ‚haben die Kaiserlichen die Brücken über die Rur abgebrannt. Am Weihnachtstag haben die Körrenziger nach Hilfarth gemußt, um die dortige Brücke abzubrechen.‘ Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß die Hilfarther selbst sich weigerten, ihre Brücke zu zerstören.“
In der Ruricher Chronik 1792 bis 1822 des Bürgermeisters Peter Christian Mertens (Erkelenz 1930) heißt es dazu: „Anno 1792 den 24ten Dezember ist die Kaiserliche Armee aus Frankreich durch Brabant und das Lütticher Land von den Franzosen geschlagen worden bis in das Jülicher Land. Daher haben die Kaiserlichen die Brücken über den Rurstrom abgebrannt […] Auf Weihnachtstag Nachmittag haben die Körrenziger nach Hilfarth gemußt, die dortige Brücke abzubrechen […]“
Wilhelm Keller aus Hilfarth schreibt in seiner Chronik:
„1793 […] Die Franzosen haben ganz Brabant auch Aachen und Koblenz eingenommen, und sind die Kaiserlichen am Rheinstrom bis hier an der Roer herumgezogen, haben die Brücken von Düren, Jülich, Linnich, auch unsere Brücke am Sonntag vor Neujahr 1793 abgebrochen.
Nun haben die Franzosen den Roerstrom ganz besetzt. Am 18. Januar 1793 haben wir auch ungefähr 250 Mann bekommen, die hier die Wacht halten sollen und patrouillieren, die wechselten bald alle Tage Kugeln mit den Kaiserlichen über die Roer herüber. Einmal des Nachts hatten wir einen großen Schrecken im Dorf, niemand durfte aus seinem Hause gehen, die Brücken und Stege über die Roer sind alle von den Kaiserlichen abgebrochen, weil die Kaiserlichen mit einem kleinen Heer in und um Aachen standen, und wichen vor dem französischen Heer zurück über die Roer. […]“
In der ersten Schlacht von Aldenhoven am 1.3.1793 siegte die kaiserliche Armee über die Franzosen. Die Franzosen wurden vorübergehend aus dem Rheinland zurückgedrängt.
Beim erneuten Vormarsch der Franzosen 1794 wurden die Rurbrücken von den Kaiserlichen erneut zerstört.
In der Ruricher Chronik kann man dazu lesen: „ […] Den 27. September [1794] sind die Kaiserlichen auf Jülich, Düren und Rurmond retiriert, haben zu Linnich diesseits der Rur […] eine Batterie aufgebaut gegen Linnich und die Vorstadt. Haben von Breitenbend bis an die Vorstadt alle Bäume weggehauen. Aus dem Amt Boslar haben dreihundert Bauern drei Tage lang arbeiten müssen. Aus unserem Dorf haben alle Tage 8 Mann daran gearbeitet. Die Linnicher Brücke, so kaum ein Jahr neu gemacht, haben sie wiederum abgebrochen, die Bretter lose darauf gelegt. Das Cörrenziger Steeg ist auch abgebrochen, wie auch die Hilfarther Brücke und die Brücke von Vlodrop. Zu Effeld hat eine Kaiserliche Armee gestanden, zu Linnich auch eine, wie auch zu Jülich und Düren […]“
In der Kellerchronik heißt es dazu: „ […] 1794 […] Die Brücke ist uns zweimal abgebrochen. Das erste Mal hat unser Scheffen Sell sie aufbauen lassen, der hat das Geld dafür vorgeschossen, auch für anderes, so daß das Dorf ihm 500 Reichsthaler schuldig ist.“ (Chronik des Ackerers Wilhelm Keller aus Hilfarth, in: Heimatkalender der Heinsberger Lande 1928, S. 34 ff.)
Am 2.10.1794 siegten die Franzosen in der zweiten Schlacht von Aldenhoven und am 3.10. nahmen sie die Festung Jülich ein. - Nach der Chronik der Bürgermeisterei Hilfarth (1824, S. 19) wurde eine neue Rurbrücke 1824 „einige Schritte unterhalb“ der alten Brücke erbaut. 1831 wird in der Chronik vermerkt (S. 30), dass man von 1774 bis 1831 „fortwährend“ Brückengeld bezogen hat. Nach den Abbrüchen 1792 und 1794 muss die Brücke also beide Male bald wieder instand gesetzt worden sein.
- Hier stützt sich Franz Moll auf den Artikel von Heinrich Terberger „Die Hilfarther Wannmacher“ im Heimatkalender der Heinsberger Lande 1926, S. 79 ff.
- Das ehemalige Hilfarther Rathaus stand neben der heutigen Rosen-Apotheke. Es wurde in den Jahren 1925/26 gebaut und am 14.12.1926 eingeweiht.
Das Gebäude, das ab 1938 als NSV-Haus genutzt wurde, wurde bei dem Luftangriff vom 22.5.1944 stark beschädigt. Zum NSV-Haus siehe: Helmut Henßen, Die Berichterstattung…, S. 40–42 und 62.